Elisabeth Ernst geb. Hett 

&

Georg Adam Ernst

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Nachkriegszeit

Wir sind jetzt in einer Zeit angelangt, wo ich zum ersten mal selbst mit eigenen Erinnerungen zur Berichterstattung beitragen kann. Allerdings - wenn ich ehrlich bin - dann  ist das mit den Erinnerungen so eine Sache. Eigentlich sind es eher Gefühle, die in mir hochkommen, wenn ich an meine Großeltern denke, als wirkliche, konkrete Erinnerungen. Es ist seltsam, aber ich kann mich zum Beispiel  überhaupt nicht mehr an den Klang der Stimmen erinnern. Wären nicht diese Bilder hier, dann hätten sich auch Gesichter, Körper, ja die ganzen Personen mit den Jahren in Nebel, in Schatten aufgelöst; wären weg, ausradiert, nicht mehr existent.  Obwohl - oder gerade weil - ich gerne an die frühen Tage meiner Kindheit zurückdenke, ist es für mich immer wieder erschreckend, wie vage diese Erinnerungen bei näherer Betrachtung doch tatsächlich sind und wie entsetzlich wenig an Konkretem, Fassbarem im Gedächtnis hängen geblieben ist.

Doch zunächst zu den Fakten: Bei meiner Geburt, also am 13 März 1951, waren beide Großeltern väterlicherseits noch am Leben und wohnten mit uns unter einem Dach. Wie  bereits an anderer Stelle erwähnt, war das im Hause Friedberger Straße 12. Zusammen mit uns wohnte dort damals noch die Familie Dillmann mit zwei Erwachsenen und zwei Kinder. Zwei Zimmer im ersten Stock standen ihnen zur Verfügung. Als dann mein Bruder noch hinzukam, waren wir 10 Leute, die sich einen Platz teilten, der heute von einer einzigen Person bewohnt wird. Dabei war zu dieser Zeit das Schlimmste bereits überstanden. In den Kriegsjahren musste man noch enger zusammenrücken.

In meinen ersten Lebensjahren war das Haus Friedberger Str. 12 noch im ursprünglichen Zustand. Das heißt, der kleine Anbau mit der Toilette war noch nicht errichtet. Das gewisse Örtchen befand sich also im Freien und für die langen Nächte musste ein Nachttopf herhalten.

Was die ersten Lebensjahr anbelangt, so muss ich gestehen, dass meine Erinnerungen an die Frauen des Hauses, also Mutter und die Oma, etwas deutlicher sind als die an die Männer - insbesondere an meinen Großvater. Damals war die Rollenverteilung ja auch noch die Klassische: Männer hatten tagsüber zu Hause nichts verloren, sie waren arbeiten. Die Frauen kümmerten sich um den Haushalt. Und auch nach geta'ner Lohnarbeit setzte sich die Rollenverteilung so fort,  dass sich die Männer gewöhnlich draußen beschäftigten  mit Gartenarbeit, Holzhacken, Versorgung des Viehs) während sich die Frauen drinnen nützlich machten (mit Kochen, Putzen, Spülen, Wäsche machen etc.). So ergab sich zwangsläufig, dass für uns Kinder der Kontakt zu Mutter und Oma alleine aufgrund der miteinander verbrachten Zeit intensiver sein musste und es damit auch die Erinnerungen sind.

Großvater

Was kann ich über meinen Opa berichten? - Er war auch für die damalige Zeit nicht allzu groß, eher klein, wirkte aber auch im Alter noch kräftig und zupackend - was er auch tatsächlich noch  war. Ich kenne ihn fast nur in Arbeitskleidung mit einer dunklen Schildmütze auf dem Kopf  - mit m'Krobbe auf'm Kopp habe ich ihn nie gesehen. Tagsüber sah ich ihn aus den genannten Gründen so gut wie nie. Erst später, als er dann in Rente war, waren wir auch tagsüber manchmal zusammen unterwegs. Da war dann auch mein Bruder Klaus schon dabei. Leider war das aber nur ein kurzes Zeitfenster, denn Opa starb bereits am 28.5.1960, da war ich gerade 9 Jahre alt.

Wenn die Arbeit getan war, stand er häufig am Hoftor und sprach mit zufällig vorbeikommenden Passanten. Damals befand sich zur Straße hin noch ein Tor, das aus dunkelrot angestrichenen Holzlatten bestand. Selbiges hatte am Haus einen kleinen Einlass für Personen, der größere Teil zur Bach hin ließ sich öffnen, um den Wagen - damals noch Leiterwagen - den Einlass zu ermöglichen. An der Hauswand befand sich noch die "Gaslatern", die abends immer mit der Hand gezündet werden musste. Kurz bevor es dunkel wurde, kam dann immer jemand vorbei, ausgestattet mit einer langen Stange, die oben einen kleine Haken hatte. Mit diesem Haken wurde dann an einer kleinen Kette gezogen, die sich an der Laterne befand, womit dieses dann gezündet wurden.

Wenn mit Großvater vor besagtem Tor stand, fiel sein Blick - wie heute noch - auf das gegenüberliegende "Brunnenhäuschen"; blickte er etwas nach links, lag vor ihm das "Café Hett" auch bekannt als "Zum Blauen Omnibus", damals noch geführt von Valentin Hett (Wer kennt ihn noch? - "Meinen Besten Dank - Auf Wiederseh'n"). Ich kann mich nur an einen einzigen Abend erinnern, an dem mein Großvater etwas wankend aus besagtem Café Hett herauskam. Dabei sang er (.. was ich sonst überhaupt nicht von ihm kannte) ".. drum Mädel weine nicht, sei auch nicht traurig" - den ganzen restlichen Abend. Wir Kinder fanden das prima, aber Oma war an jenem Abend sehr besorgt; sie hatte Angst, der "alte" Adam könnte wieder durchbrechen - was sich aber nicht bewahrheitete, es blieb bei dem einen mal.

Wenn er so am Tor stand, dann hatte er auch meistens einen Zigarrenstummel im Mundwinkel. Mit einem dieser Zigarrenstummel machte mein Bruder Klaus irgendwann einmal eine schmerzliche Erfahrung: Beim "Abhalten" war ihm - von Opa unbemerkt -  ein Stückchen Glut aus diesem Stummel zwischen Ober- und Unterschenkel geraten. Großvater konnte sich das jämmerliche Geschrei daraufhin nicht erklären. Erst später zu Hause wurden dann die Brandwunden entdeckt und damit das Rätsel gelöst.

  Adam Ernst bei der Arbeit

An eine einzige konkrete Begegnung mit meinem Großvater in diesem frühen Daseinstagen kann ich mich heute noch erinnern: Wir (entweder Oma oder meine Mutter) und ich brachten Opa das Mittagessen in einem "Tender", so einem Blechnapf, den ich noch von der Bundeswehr her kenne. Wir mussten uns beeilen, denn die Wärme in so einem Blechnapf hält nicht lange. Opa arbeitete damals an einem Bau rechts von der Friedberger Straße. Damals waren auf den Grundstücken ringsumher noch Obstbäume zu sehen. Wir gingen dort oft spazieren, nur, die Einzelheiten bringe ich heute nicht mehr zusammen. Nichts ist dort mehr so, wie es einmal war. Realität und Erinnerung sind ebenso weit voneinander entfernt wie die Preise besagter Grundstücke damals und heute. Damals, das war, als der Wert eines Grundstückes noch danach bemessen wurde, welche Bäume man pflanzen,  welche  Frucht man dort anbauen konnte. Die heutigen Millionärsdichte in jenem Gebiet jedenfalls hat mit der Fruchtbarkeit des dortigen Bodens herzlich wenig zu tun.

So wie auf dem nachstehenden Passphoto aus dem Jahre 1953 abgebildet, habe ich meinen Großvater heute noch in Erinnerung:

Und dann kam schließlich jener Nachmittag im Mai 1960, an den ich mich heute noch genau erinnern kann. Wir -  die  Kinder aus der Friedberger Straße  - spielten, wie zu jener Zeit fast immer,  nachmittags irgendwo in den "Langen Wiesen". Interessantester Spielplatz war zu jener Zeit für uns der Hang zur Höllsteinstraße, gleich hinter der damaligen Tankstelle vom "Beckers-Karl". Dort wurde regelmäßig Bauschutt abgeladen, um das Gelände dem Niveau der Höllsteinstraße anzupassen. Da gab's für uns immer etwas Interessantes zu finden. Und wenn's mal nichts zu finden gab, war's trotzdem noch ein prima Abenteuerspielplatz. Irgendwann rief jemand nach meinem Bruder Klaus und mir, wir sollten dringend sofort nach Hause kommen. Irgendwie spürte ich, dass etwas geschehen sein mußte, denn bisher bestand noch nie die Notwendigkeit, uns vom Spielen zurückzurufen. Wir eilten die paar Meter zurück nach Hause und dort erfuhren wir dann, dass unser Opa gestorben war. Es war der Nachmittag des 28. Mai 1960.

Für mich war es das erste Mal, dass jemand, mit dem ich unmittelbar zusammen lebte, gestorben war. Sicher, es war nicht der erste Todesfall in unserer Familie im weiteren Sinne, aber alle anderen waren doch irgendwie "weit weg", jetzt fehlte plötzlich jemand aus der "Mitte". Ein paar Tage vorher hatte ich ihn noch im Krankenhaus in Frankfurt besucht. Keiner hatte damit gerechnet, dass das die letzte Begegnung sein würde. Damals war mir das Ausmaß eines Todesfalles überhaupt noch nicht bewusst, das richte Begreifen kam erst viel später. Ich glaube, die Natur hat Kinder mit einem sehr guten Schutzpanzer gegen solche Schicksalsschläge ausgestattet - sie werden in diesem Alter gar nicht als solche empfunden.

Großmutter

Seltsam, es klingt wie ein Widerspruch, ist aber die Wahrheit: Die persönlichen Erinnerungen an Oma sind zwar intensiver, aber an konkreten Geschichten und Ereignissen gibt's dennoch so gut wie nichts zu berichten: Sie war ganz einfach immer da, so wie die Luft zum Atmen, die man ja auch nicht bewusst spürt oder schmeckt und deren Wert man erst erkennt, wenn sie einem fehlt. Man braucht sich aber nur die Bilder anzuschauen, die von ihr erhalten geblieben sind. Das Gesicht verrät alles. Es gibt kein Bild, auf dem sie nicht zufrieden lächelt. So wie ich meinen Großvater in Erinnerung habe, wie am Hoftor steht und zum Brunnenhäuschen rüberschaut, so ist mir meine Oma in Erinnerung, wie sie abends neben dem Ofen in der Küche sitzt  und dessen langsam ausklingende Wärme genießt. Licht brauchte sie dabei nicht, das wäre bereits Luxus gewesen. Radio und Fernsehen erst recht nicht. Wenn es am nächsten Morgen was zu erzählen gab, dann waren das ganz andere nächtliche Ereignisse: Es wurde wieder mal eine Maus auf der "Lamberie" (wer weiß heute noch, was das ist?) gesichtet oder selbige war unter dem Ofen zu hören.

Das spannendste Ereignis war die Suche nach der Nadel, die irgendwo unter dem elektrischen Kocher liegen musste und die jedes mal piekste, wenn der Kocher gereinigt wurde. Eine Nadel wurde nicht gefunden, aber es stellte sich später heraus, dass der Kocher falsch angeschlossen worden war und sich dafür regelmäßig beim Putzen durch kleine, schmerzhafte Stromstöße rächte.

"Oma"  - 
Elisabeth Ernst geb. Hett

Elisabeth Ernst mit Günther Dillmann, damals noch "Mitbewohner" im Hause Friedberger Str. 12

 

Noch einmal Elisabeth Ernst. 
Wer der kleine Neuankömmling ist, 
den sie auf den Armen hält, 
ist leider nicht mehr bekannt.

Die gezeigten Bilde sind übrigens alle auf dem Grundstück Friedberger Straße 12 aufgenommen worden. Ich wollte das zunächst nicht glauben, weil ich insbesondere die im Hintergrund zu sehende Höllsteinstraße bereits im späteren Ausbauzustand in Erinnerung hatte. Zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Bilder standen dort aber nur einzelne Häuser.

Leider überlebte meine Großmutter den Tode Ihres Ehemannes nur ca. zwei Jahre. Im Gegensatz zu ihm starb sie allerdings zu Hause. Ihr Wunsch war immer, einen kurzen, schmerzlosen Tod zu haben. Dieser Wunsch wurde ihr erfüllt. Ich kann mich gar nicht richtig daran erinnern, dass sie krank war. Es ging ihr nur wenige Tage so schlecht, dass sie im Bett liegen blieb. Das tat sie sonst nie. Eines morgens sagten uns unsere Eltern, dass Oma in der Nach gestorben sei. Es war der 21.2.1962. Auch von ihr existiert noch ein Passphoto, das sie so zeigt, wie sie mir in Erinnerung geblieben ist:

Es folgen noch zwei weitere Bilder, die ich erst später wiederentdeckt habe und die noch näher beschrieben werden müssen:


Ein "später" Georg Adam:

Das - leider von der Qualität nicht sehr berauschende - Bild zeigt Georg Adam Ernst (zweiter von rechts) im Jahr 1954. Es ist der Festschrift "50 Jahre Club Humor" entnommen. Es ist eines der letzten Bilder, die ich bisher von meinem Großvater auftreiben konnte. 

Zum Thema Club Humor: In der Ehrenurkunde von 1929 wird Georg Adam als "Mitgründer" angesprochen, in der Festschrift 25 Jahr später fehlt dieser Hinweis. Als Gründer werden dort aufgeführt: August Birkenfeld, Georg Friedrich, Josef Borig, Thomas Wächtershäuser und Karl Wehrheim. Da ich selbst ein wenig im Vereinsleben tätig bin, vermute ich folgendes: Der Verein wird wohl bei seiner Gründung im Jahre 1904 mehr als 5 Mitglieder gehabt haben - sonst hätte es nichts zu gründen gegeben. Als Gründer sind hier wohl die damals Verantwortlichen, nach heutigem Sprachgebrauch wohl der erste Vorstand, das erste Präsidium gemeint; die Bezeichnung Mitgründer läßt darauf schließen, daß Georg Adam zu den Gründungsmitgliedern gehörte, also von Anfang an mit dabei gewesen ist.


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