Georg Adam Ernst (1886 – 1960)

Kinder und Jugendjahre 

Georg Adam Ernst wird am 02.09.1886 als erster Sohn des Fabrikarbeiters Andreas Ernst und dessen Ehefrau Margaretha geb. Hett geboren. Hier noch einmal die Abschrift aus dem Kirchenbuch:

1886/438
September/nat.2./bapt.5.
Georgius Adamus filius legit. Andreas Ernst operari.. in fabrica et Margarethae Hett conjugum. 
Levante Adamo Ernst
oo 3.10.1920 mit Elisabeth Hett dahier.

Definitiv sicher ist in diesem Fall auch der Rufname: Adam. So haben wir es in Erinnerung und so hat er auch sämtliche Briefe unterzeichnet, wie wir später noch sehen werden. Allerdings hat ihn kaum jemand unter seinem richtigen Namen in Erinnerung. Aber auch davon später. Der erwähnte Levante (= Taufpate) war der eigene Onkel: Adam Ernst, Bruder von Vater Andreas. Wohnhaft in der Höllsteinstraße ist er Vorfahr der Familien Dötig und Fuhrmann. Der Familienname Ernst stirbt allerdings zwei Generationen später in dieser Linie aus, da es keine männlichen Nachkommen mehr gibt.  

Historisch gesehen befinden wir uns in der Zeit Kaiser Wilhelm I. und dessen Reichskanzlers Otto von Bismarck. 

Aber nur zurück zu „unserem“ Adam. Der kleine Neuankömmling, um den es hier geht, ist kein anderer als mein eigener Großvater oder „Opa“. Es handelt sich damit um den ersten Menschen in dieser Ahnensammlung, den ich noch persönlich kennen lernen durfte. Trotzdem liegen auch bei Adam Ernst die ersten Lebensjahre zur Zeit noch im Dunkeln. Das Haus in der Friedberger Straße 12 war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gebaut. Wo die Wiege des kleinen Georg Adam stand, konnte ich bisher noch nicht herausfinden. Selbst im Wehrpass des Vaters Andreas ist für diesen Zeitpunkt nur der Wohnort Kirdorf vermerkt, nicht aber die Anschrift.

Das Haus in der Friedberger Str. 12 wurde - wie bereits im letzten Kapitel erwähnt - nicht vor 1894 fertig gestellt und wahrscheinlich im Laufe des Jahres 1894 von Andreas Ernst, dem Vater von Georg Adam schlüsselfertig erworben und bezogen. Wir können also davon ausgehen, daß Georg Adam etwa seit 1894 mit seine Eltern und Geschwistern dort wohnte. Er war beim Einzug also bereits etwa 8 Jahre alt; wo er die Jahre zuvor verbracht hatte, konnte ich bisher noch nicht herausfinden.

Ein Bild von dem kleinen Georg Adam habe ich auch noch nicht entdeckt. Das erste Dokument ist, das sich bis in unsere Zeit hinübergerettet hat, ist - wieder einmal - ein Andenken an die Erste Heilige Kommunion: 

Andenken an die Erste Hl. Kommunion
ausgestellt von Dekan Zervas am 9. Apr. 1899
in der "Pfarrkirche zu Kirdorf"
(für Vergrößerung bitte anklicken)

 


 „De Krobbe“ 

Bevor ich die übrigen Quellen auswerte, möchte ich zu Beginn der Aufzeichnung meine eigenen Erinnerungen und die mir noch „im Ohr liegenden“ Anekdoten niederschreiben. 

Fangen wir damit an, daß Georg Adam als echter Kirdorfer natürlich auch seinen Spitznamen hatte: Er war für alle „De Krobbe“ – Das hat überhaupt nichts damit zu tun, daß er zeit seines Lebens vielleicht grob gewesen wäre. Nein, grob, das war er ganz sicher nicht. ´n Krobbe, das war zu dieser Zeit ein Bräter. Aber auch mit einem Bräter hatte Georg Adam nichts zu tun. ´n Krobbe, das war nämlich auch eine bestimmte Hutform; ein Hut, dessen Form eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Bräter hatte. 

In dem 1987 von der Kath. Jugend St. Johannes herausgegebenen „Kirdorferisch fier Dribbdebächer“ ist unter dem mundartlichen Begriff Krobbe folgendes zu finden: eiserner Kochtopf, harter Hut“. Auch unter den Kirdorfer Unnahmen taucht „de Krobbe“ wieder auf. Dort steht er zwar unter der Kategorie „E“ wie „Einzelname“, was aber nichts daran ändert, daß er längst von zahlreichen Kirdorfern als Bezeichnung für die ganze Sippschaft benutzt wird. Aus praktischen Erwägungen heraus (salopp gesagt kann man auch von Mundfaulheit sprechen) ist es ja auch heute noch ganz sinnvoll, einen Spitznamen parat zu haben. Auch die heutigen Zeitgenossen sind ja nicht dumm und haben längst erkannt, daß es viel einfacher ist zu sagen „des iss’n Krobbe!“ als mühsam zu erklären: „das ist ein Sohn des Weißbinders Herbert Ernst aus der Friedberger Straße 12 und ein Enkel des Maurers Adam Ernst“. Die Zeit, die man bei der Konversation dabei einspart (einmal ganz abgesehen von den Telefonkosten), kann man viel sinnvoller für den Austausch wirklich wichtiger Informationen nutzen.

Ich selbst habe allerdings meinen Opa nur mit seiner dunkelblauen, fast schwarzen Schildmütze in Erinnerung. Mit einem Hut habe ich ihn nie gesehen. Aber alle, die es wissen müssen, haben mir gesagt, daß der Spitzname daher kam, daß er eben einen solchen Hut besaß und auch regelmäßig trug - was bei seinem Beruf als Maurer nicht ganz selbstverständlich war. Weil er aufgrund dieses Hutes schon von weitem zu erkennen war, hieß es bald: „Guck emol, da kimmt de Krobbe“. Und schon bald war er selbst „de Krobbe“. 

Das interessanteste an unserem Opa war für uns als Kinder, daß er im Rücken ein Loch hatt. Ein (aus Kindersicht) etwa fingergroßes Loch, das aus einer Schußverletzung aus dem ersten Weltkrieg resultierte. Passend zum Loch konnte er uns auch immer die dazugehörige Kugel präsentieren und wunderbar Geschichten erzählen, die ich aber leider nicht mehr in Erinnerung habe. 

Zu dieser Schußverletzung, dem „Loch im Krobbe“ gibt es eine kleine Anekdote, die mir allerdings erst vor wenigen Jahren von einem damals noch lebenden Ur-Kirdorfer übermittelt wurde: Mein Großvater war im Krieg mit einigen anderen Kirdorfern zusammen im gleichen Regiment. Unter anderem auch – passend zum „Krobbe“ – mit „De Suus“ – zu hochdeutsch: Der Bräter und die Soße waren zusammen im Krieg. Das Schicksal wollte es, daß „de Krobbe“ verletzt wurde und „die Suus“ in dem Gefecht das Laufen lernte. In einem Feldpostbrief an die in der Heimat verbliebenen las sich das dann so: „De Krobbe hat e Loch un die Suus is fortgelaafe“. Leider ist dieser Brief nicht erhalten geblieben, zumindest ist es nicht bei mir gelandet. Ich kann an dieser Stelle nur das mündlich überlieferte festhalten und weitergeben.

Eine etwas andere Variante dieser Anekdote hat mein Vater in Erinnerung: De Krobbe un die Suus waren beide verletzt worden und die Nachricht nach Hause lautete „De Krobbe hat e Loch un die Suus lääft aus“. Diese Version ist wohl etwas wahrscheinlicher weil es mit ´m fortlaafe im Krieg natürlich nicht so einfach war, ´s auslaafe infolge von Schußverletzungen dagegen war an der Tagesordnung. 

Aus der Jugendzeit meines Großvaters weiß ich nichts konkretes zu berichten, allerdings muß er – nach allem was ich bisher gehört habe – nicht gerade ein braver Stubenhocker gewesen sein. Als er meine Großmutter heiraten wollte, war die Meinung des zukünftigen Schwiegervaters zu dieser Beziehung: „Dann nemm der liewer gleich n’ Strick!“ – Die düsteren Prophezeiungen sollten sich jedoch nicht erfüllen. Erst einmal verheiratet und Familienvater, war „de Krobbe“ ein ganz ein Lieber. Ich habe nie etwas Negatives über ihn gehört und kann auch selbst nur das Beste über ihn weitergeben.


Maurer, Gewerkschaftler, Vereinskamerad

1904. Georg Adam ist 18 Jahre. In dieses Jahr fällt die Gründung des Kirdorfer Karnevalvereins Club Humor, bei der Georg Adam in irgendeiner Form mitgewirkt haben muß, wie eine Ehrenurkunde aus dem Jahr 1929 belegt, die  ihn als "Mitgründer" bezeichnet und mit der er für 25 Jahre "treu Mitgliedschaft" geehrt wird.

Im gleichen Jahr tritt Georg Adam, der bei der Firma Deutschmann in Frankfurt als Maurer arbeitet, der Gewerkschaft Bau Steine Erden bei. Auch dies belegt eine Ehrenurkunde: Am 5. Dezember 1954 wird er für 50 (!) Jahre Mitgliedschaft in der Gewerkschaft geehrt.

           

Ehrenurkunde der Gewerkschaft
"Bau - Steine - Erden"
v. 5.12.1954
(für Vergrößerung bitte anklicken)

Mein Vater skizziert den jungen Georg Adam Ernst mit eigenen Worten wie folgt:

Vor dem Ersten Weltkrieg: Lehre als Maurer, Arbeitsplatz Frankfurt, vermutlich Firma Deutschmann. Mitglied der Gewerkschaft Bau-Steine-Erden seit 1904 (Ehrenurkunde für 50 Jahr Mitgliedschaft am 5.12.1954). 1904 war er bei der Gründung des Club Humor dabei, was eine Urkunde vom 12.5.1929 belegt. Beim 50. Jubiläum wurde er allerdings nicht mehr als Gründer genannt (Grund ungewiss), ist aber noch auf dem Bild zusammen mit den Gründern abgebildet.

Er hatte einen Freundeskreis, der oft die Freizeit im Wirtshaus verbrachte und die als "Rote" galten. In einem Jahr feierten sie "Fassenacht" ausgiebig. Der Grund war die Erbschaft eines Mitglied des Freundeskreises - angeblich 3.000 Goldmark. Sie begannen die Feier am Samstag in Kirdorf. Dann führte die Tour über Frankfurt und Mainz nach Köln, von wo aus sie am Aschermittwoch zurückkehrten. 

Aus den Jugendjahren des Adam Ernst sind uns glücklicherweise ein paar Bilder erhalten geblieben. Allerdings sind für das folgende Bild weder Zeitpunkt, noch Anlaß, noch die Namen der beiden anderen Herren überliefert. Adam Ernst ist unschwer in der Mitte des Bildes zu erkennen:  


   

  Wer kennt die beiden anderen
und den Anlaß für dieses Bild?
Adam Ernst: in der Mitte 


Der Soldat

Gerne würde ich an dieser Stelle mehr über den Zivilisten Georg Adam Ernst berichten. Allein, die mir zugänglichen Quellen geben über das Privatleben meines Großvaters in dessen Jugendzeit nichts her. Die Zeit, in die er hineingeboren wurde, prägt natürlich auch die Erinnerungen an ihn. So ist es nicht verwunderlich, daß die meisten noch erhaltenen Aufnahmen, Unterlagen und Anekdoten aus seiner Jugend in direktem Zusammenhang mit seiner Soldatenzeit vor und während des Ersten Weltkriegs stehen. Erst viel später - nachdem dann auch die persönlichen Erinnerungen meines Vaters Herbert Ernst einsetzen - können wir uns wieder dem zivilen, privaten Georg Adam Ernst widmen; doch davon an anderer Stelle. Der zeitliche Ablauf erfordert es, daß wir uns zunächst mit dem Soldaten Georg Adam Ernst beschäftigen.

Dessen ziviler Lebenslauf wurde schon rasch durch die Wehrpflicht unterbrochen. Im Kaiserreich war diese wie folgt geregelt (Auszug):

" Die .. .Dienstpflicht im stehenden Heer wird eingeteilt in die aktive Dienstpflicht  und in die  Reservepflicht.
Jeder wehrfähige Deutsche gehört 7 Jahre lang, in der Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden 28. Lebensjahr dem stehender Heer an. Während der Dauer der Dienstpflicht im stehenden Heer sind die Mannschaften der Kavallerie und reitenden Feldartillerie die ersten drei, alle übrigen Mannschaften die ersten zwei Jahre zum ununterbrochenen Dienste bei den Fahnen verpflichtet (Aktive Dienstpflicht). Danach erfolgt der Übertritt zur Reserve (Reservepflicht)."

 

Quelle: Inernetseite: http://www.deutschland14-18.de/

Wir können demnach davon ausgehen, daß Georg Adam Ernst seinen regulären Wehrdienst in den Jahren 1906 - 1908 ableistete. Aus dieser Zeit stammt vermutlich das folgende Bild. Es trägt die Aufschrift: Es lebe hoch das Regiment, das sich mit Stolz das 87 te (?) nennt. Darüber hinaus ist der Spruch zu lesen: Gehorsam, Treue, Tapferkeit - des deutschen Kriegers Ehrenkleid. Und letztendlich: Gott mit uns - Zur Erinnerung an meine Dienstzeit in Mainz. Fotograf war ein H. Ranzenberger aus Mainz.

   

Dieses Bild von Georg Adam Ernst stammt vermutlich noch aus „regulären“ Wehrdienstzeiten vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Mainz.

... wärend dieses Bild einige Jahre später im Ersten Weltkrieg enstand, doch davon weiter unten.

 

  


Vorwegschicken muß ich, daß uns leider keine schriftlichen Aufzeichnungen aus dieser Zeit vorliegen, auch der Wehrpass ist nicht erhalten geblieben. Erhalten geblieben sind nur einige Bilder und Feldpostkarten. In geradezu detektivischer Kleinarbeit habe ich bisher versucht, diese spärliche Informationen zu einem halbwegs übersichtlichen "Puzzle" zusammenzusetzen.

Auf Besuch in "Wellblechhausen"

Auf dem folgende Bild sind zumindest Anlaß und Zeitpunkt der Aufnahme deutlich zu erkennen: Es muß sich um eine Wehrübung im Jahre 1911 auf dem Truppenübungsplatz „Griesheimer Sand“ gehandelt haben. Leider sind uns die Namen seiner Kameraden nicht überliefert worden: 

Erinnerungen an den "Griesheimer Sand" 1911
Adam Ernst: zweiter von links
Die Namen der Kameraden sind leider in Vergessenheit geraten.

Als ich diese Zeilen zum ersten Mal schrieb, konnte ich mit dem Namen "Griesheimer Sand" noch nichts anfangen. Ich vermutete allerdings damals schon, daß das Bild wohl mit dem Ort Griesheim bei Darmstadt in Verbindung zu bringen ist. Völlig unerwartet bekam ich in dieser Sache im Februar 2003 "Schützenhilfe" von Frau Ursula Eckstein aus Marburg, die diese Zeilen zufällig im Internet fand und meine Zweifel ausräumen konnte. Ihr habe ich folgende Ergänzungen zu verdanken, die ich hier im auszugsweise im "Originalton" wiedergeben möchte: 

"Bis ins 19. Jahrhundert machte der "Griesheimer Sand" seinem Namen alle Ehre: Ein Sanddünengebiet, das vor rund 15.000 Jahren im letzten Abschnitt der Eiszeit entstanden war, weit ab jeglicher Besiedlung. 1838 wurde die Chaussee von Griesheim nach Darmstadt gebaut. Am 2. Januar 1874 schloß die Gemeinde Griesheim mit dem Königlich-Preußischen Kriegsministerium als Vertreter der Reichsmilitärverwaltung einen Vertrag über den Kauf eines Schießplatzes für die 11. Artillerie-Brigade in Darmstadt ab. Es war dies das "landwirtschaftlichminderwertige Gelände" im Süden und Südosten von Griesheim. Zum Ausgleich dafür erhielt die Gemeinde das Recht und die Pflicht, den dort anfallenden Stallmist zu verkaufen und damit auch die Schießschäden zu begleichen. So flossen der Gemeindekasse jährlich 12.000 RM zu. Das Militärgelände erhielt einen Gleisanschluß über einen Abzweig von der Dampfstraßenbahnstrecke Griesheim - Darmstadt (erbaut 1886). Den Griesheimern blieb neben den vielen Fehlschüssen vor allem das Kaisermanöver von 1877 in Erinnerung. Westlich der Offiziersgebäude standen weitläufige Wellblechbaracken und sonstige Mannschaftsunterkünfte an der heutigen Jahnstraße sowie längs der westlich verlaufenden Lilienthalstraße (heute Sport- und Schwimmbadgelände). Der Truppenübungsplatz hieß deshalb bereits um die Jahrhundertwende scherzhaft "Wellblechhausen"." Aus ganz Deutschland kamen die Truppen zusammen, um hier zu üben. 

Das Bild erad15.jpg ist ein typisches Bild, wie damals die Soldaten eine Erinnerung festhielten. Sie können Ihr Fragezeichen ausradieren. In Darmstadt gibt es noch einige alte Herren, die das Andenken an den Truppenübungsplatzpflegen". gez. Ursula Eckstein.


Der Erste Weltkrieg 

  

 

Kommen wir nun zu einen Kapitel in der Geschichte der Familie Ernst, dem man leicht ein ganzes Buch widmen könnte. Ich habe mir lange überlegt, wie ich dieses Kapitel am besten in die Familienchronik einbinden könnte und sollte und kam schließlich zu dem Ergebnis: genau hier! 

Bereits im letzten Kapitel, das sich mit meinem Urgroßvater Andreas Ernst beschäftigte, kam ich nicht umhin, den Ersten Weltkrieg kurz zu streifen, denn natürlich war auch er davon betroffen; schließlich waren es seine drei Söhne Adam, Andreas und Christoph, die in den Krieg zogen. Dennoch glaube ich, ganz im Sinne meiner Vorfahren zu handeln, wenn ich über den Krieg in Verbindung mit der Person meines Großvaters Georg Adam Ernst ausführlich berichte. Es ist dessen Generation, die den Ersten Weltkrieg mit all seinen Schrecken aktiv erlebten mußten und dabei im wahrsten Sinne des Wortes ihre Haut zu Markte trugen. 

Und noch eines möchte ich klarstellen: Wenn ich hier so ausführlich über diese Zeit berichte, dann bestimmt nicht aus dem Grunde, den Krieg glorifizieren zu wollen. Nein, ganz im Gegenteil. Nach all dem, was ich über meine Vorfahren weiß, sind diese sicher nicht mit wehenden Fahnen in den Krieg gezogen; sie zogen in den Krieg, weil sie mußten und sie standen ihren Mann nicht aus besonderer Liebe zum Kaiser, sondern ganz einfach deshalb, weil sie keine Feiglinge waren. 

Das Fazit am Ende ihres Lebens – das sie uns als Generation der Enkel noch weitergeben konnten - war ein entschiedenes „Nie wieder Krieg“.

Adam Ernst als ältester der drei Brüder war von Anfang an mit dabei. Im August 1914 erfolgt die Mobilmachung und die ersten Kirdorfer rücken aus an die Front. Adam Ernst ist zu diesem Zeitpunkt bereits fast 28 Jahre alt und hat damit seinen regulären Wehrdienst längst hinter sich. Von diesem „Ausrücken der Kirdorfer“ ist folgendes interessantes Bild erhalten geblieben, aufgenommen in der Kirdorfer Straße, Ecke Herzbergstraße. Georg Adam Ernst – damals ca. 28 Jahre alt - ist in der vorderen Reihe zu erkennen (sitzend, erster von links). Auf dem Kopf ein Hut (de Krobbe?). 

 

 

   (Ausschnittvergrößerung)

 


Bereits im ersten Kriegsjahr wird Adam verwundet und gelangt in das „Reservelazarett Blankenburg, Harz“, von wo er am 3.10.1914 eine Feldpostkarte mit folgendem Inhalt an seine Eltern schickt: 

Blankenburg, 3. Oktober
Viele Grüße aus Blankenburg Harz sendet an Euch alle Adam.
Mir geht es hier sehr gut, was ich auch bestens von Euch hoffe.
Es ist alles bei mir in Ordnung. Wiedersehen.

Was der Anlaß für diesen Lazarettaufenthalt gleich zu Beginn des Krieges war, wissen wir nicht. Vielleicht war es bereits die Schußverletzung im Rücken, vielleicht war diese als reine Fleischwunde gar nicht so schlimm, wie sie später als Kinder auf uns wirkte – wir wissen es nicht. Jedenfalls wurden bisher keine Hinweise auf einen späteren Lazarettaufenthalt gefunden, so daß es ihn wahrscheinlich bereits zu Beginn des Krieges „erwischte“. 

Auch ein zweiter Feldpostbrief - nur wenige Tage später ebenfalls aus Blankenburg abgesandt - ist uns erhalten geblieben; er ist nachstehend abgebildet (übrigens: Eine vollständige Abbildung sämtlicher erhaltener Feldpostbriefe ist in Bearbeitung; sie wird in Form einer separaten Anlage erfolgen, damit der Textfluß nicht durch die Bilder zu sehr unterbrochen und gestört wird):

Um diese Feldpostkarte gab es zunächst ein wenig Rätselraten, denn es war anfangs gar nicht so klar, wer Absender und Empfänger überhaupt sind.  

Zweifellos ist auf dem Bild Georg Adam Ernst zu erkennen. Auch wenn ihn nicht schon jemand mit einem Kreuz auf der Brust markiert hätte, wäre er mir nicht entgangen. Also kann davon ausgegangen werden, daß er auch der Absender der Karte ist. Letzteres deckt sich auch mit dem Namenszug Adam links unten auf der Karte.

Ein bißchen komplizierter ist es dann schon mit dem Empfänger, dem Musketier Ernst, 6. Kmp. ...Reg. Nr. 87, zur Zeit Mariahilf / Krankenhaus (?). Aachen (?). Die Anrede lautet „Lieber Bruder“; wenn Adam an einen seiner Brüder schreibt, dann könnte damit sowohl Christoph, als auch Andreas gemeint sein. Allerdings wissen wir, daß Andreas im Ersten Weltkrieg schwer verwundet wurde und ein steifes Bein zurückbehielt, während von Christoph bis zu seinem Tod bei Verdun keine Verwundungen bekannt sind. Außerdem ist Christoph noch jünger und wird erst gegen Ende des Krieges eingezogen. Nach allem, was ich weiß, ist er zu diesem Zeitpunkt noch zu Hause in Kirdorf. Da die Adresse des „Musketier Ernst“ (... zur Zeit Mariahilf... auf einen Krankenhaus- oder Lazarettaufenthalt schließen läßt, ist es wahrscheinlich, daß mit dem Musketier Ernst der verletzte Bruder Andreas gemeint ist. Den Text konnte ich bisher wie folgt entziffern: 

Lieber ..  Bruder,
ich teile Dir kurz mit, daß ich Deine Karte erhalten habe und daraus ersehe, daß es Dir noch gut geht. Ich werde diese Woche noch nach Homburg ins Lazarett überwiesen. Hoffentlich werden wir uns einmal wiedersehen. Viele Grüße und Gute Besserung wünscht Dir Dein Bruder Adam  

Die Karte ist abgestempelt am 13.10.1914 im Reservelazarett Blankenburg, Harz. Wenn diese Überlegungen stimmen, dann wurden beide Brüder bereits unmittelbar nach Ausbruch des Krieges verletzt. Aus dem Lazarettaufenthalt in Blankenburg ist übrigens ein zweites Bild erhalten geblieben:  

 

  

Adam Ernst (3.von links)
im Reservelazarett Blankenburg, Harz
Oktober 1914 

 


Das nächste Lebenszeichen, daß wir von Adam erhalten, kommt seltsamerweise aus einer ganz anderen Ecke Europas: Es ist eine Feldpostkarte, auf der die Gasanstalten von Lodz zu sehen sind, adressiert an den Vater Andreas Ernst in der Friedberger Str. 12, Homburg/Kirdorf:

 

Ich hatte diese Karte bisher nicht in den Bericht über Georg Adam Ernst übernommen, da die Mitteilung nur sehr schwer zu entziffern war. Die "Übersetzung" weist auch heute noch Lücken auf, sie liest sich etwa wie folgt:  

(geschrieben den 7.2.1915)
Liebe Eltern und Geschwister,
ich will Euch kurz mitteilen, daß ich die Pakete vom... erhalten und ..(mich)  sehr gefreut darüber (habe), daß Ihr noch an mich gedacht...  (habt)
Andreas hat mir geschrieben daß ..(es ihm)  noch gut geht.
Schickt Eure Pakete immer so weiter, denn da kommen sie m besten an.
Johannes Jäger (?) ist auch in Rußland bei den 118.
Viele Grüße hiermit an Euch alle Adam

Wenn Adam hier ausdrücklich auch in Rußland schreibt, dann meint er doch wohl, daß er selbst zu diesem Zeitpunkt in Rußland ist, und zwar mit der 118. - und das nur wenige Wochen nach der Verletzung? - Mir war bisher gar nicht bewußt - und ich kann es auch noch nicht so recht glauben - daß er auch an der Ostfront im Einsatz war. Aus meinen Erinnerungen weiß ich nur vom Einsatz im Westen. Die bisher ausgewerteten Karten aus anderen Gebieten waren stets nur mit Übungen und Lehrgängen verbunden.

Die Karte aus Lodz will einfach nicht in das bisherige Bild passen und wird mir wohl noch einige Zeit Kopfzerbrechen bereiten.


Einige Wochen später, zum Osterfest des Jahres 1915 trifft folgende Feldpostkarte zu Hause in der Friedberger Str. 12 ein: 

 

Die Karte ist an den Vater, Andreas Ernst adressiert und der Text lautet kurz und bündig: „Die besten Grüße und ein frohes Wiedersehen wünscht Euch allen Euer Sohn Adam“ Leider ist der Karte nicht zu entnehmen, wo sie abgesandt wurde; der Stempel sagt nur „von der Armee im Felde“ und auch Adam selbst schweigt zu diesem Thema. Der gedruckte Spruch auf der Karte lautet: Herr, laß Deine Macht und Barmherzigkeit über uns walten.


Das nächste, was wir von ihm wissen, ist die die Verleihung des Eisernen Kreuzes am 21.09.1915, von der folgender "vorläufiger Ausweis" erhalten geblieben ist - der leider die Gründe für die Verleihung verschweigt:

  

dem Unteroffizier v.D. Ernst
Infanterie Regiment 168, 7. Kompanie wurde am 21.9.1915 das Eiserne Kreuz verliehen. 
Der Stempel sagt: Gross. Hess. Inf. Rg. Nr. 188


Zwischenbilanz

Aus der bisher geleisteten detektivischen Kleinarbeit zeichnen sich für Adam Ernst schemenhaft folgende Stationen im Verlauf des Ersten Weltkrieges ab: Die Einberufung muß unmittelbar mit der Mobilmachung am 1.8.1914 erfolgt sein. Bereits bei den ersten Kämpfen an der Westfront wurde er verwundet und gelangte Anfang Oktober 1914 zunächst in das Reservelazarett Blankenburg im Harz, anschließend ins Lazarett in Homburg, seiner Heimatstadt.

Noch vor Anbruch des Frühlings ist er bereits wieder im Felde, allerdings nicht mehr im Westen, sondern im Osten. Im Spätsommer wird ihm das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse verliehen, Anlaß leider unbekannt.

Als im Jahre 1916 für alle Infanterie-Regimenter sog. Minenwerferkompanien aufgestellt wurden, gelangte mein Großvater offenbar in eine diese Einheiten. Da ich den Begriff „Minenwerfer“ zum ersten Mal bewußt bei den Recherchen um meinen Großvater gehört habe, hier ein paar Anmerkungen zu dieser Waffe: „Jedes Infanterieregiment hatte schließlich (1917) seine eigene Minenwerferkompanie. Ihre leichten Werfer waren durch Lafettierung für den Flachbahnschuß zu einem sehr brauchbaren Begleitgeschütz entwickelt worden. Es wurde auf dem Gefechtsfeld von Pferden oder Leuten gezogen. Seine Aufgabe beim Angriff war die Niederkämpfung von Widerstandsnestern“. 

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Abbildung eines Minenwerfers
aus dem Ersten Weltkrieg,
entnommen aus einem Bilderalbum
 (Cigaretten-Bilderdienst Dresden,
“Der Erste Weltkrieg“)

Daß der landläufige Begriff „Mine“ in diesem Zusammenhang leicht zu Mißverständnissen führen kann, beweisen die nächsten beiden Bilder: 

Auf der Rückseite ist etwas folgendes vermerkt: Unteroffz. von der Minenwerfer Kompanie 53.... in Frankreich an der Somme (???). Bemerkenswert ist der Schriftzug „Mein Liebling“ auf dem größten der Geschosse. Wie diese „Minen“ verschossen worden sind, veranschaulicht ein weiteres „Zigarettenbild“:


Laden eines Minenwerfers

 Hier ein weiteres Bild aus der Zeit in der Minenwerferkompanie:

Dieses (leider stark mitgenommene) Bild trägt auf der Rückseite eine Aufschrift, die wie folgt lauten könnte: Unteroffiziere von Minenkompanie 444, Untoff. Ernst 1/444. Auch auf diesem Bild ist wieder unschwer Georg Adam Ernst zu erkennen (unterste Reihe, zweiter von rechts).


Auch im Kriegsjahr 1916 ist Georg Adam Ernst noch an der Westfront eingesetzt. Das folgende Bild zeigt ihn am Osterfest 1916 beim Baden in der Marne. Es trägt auf der Rückseite den folgenden Vermerk:  „Baden in der Marne, Osterfeiertag 1916 morgen 12:00, Uffz. Adam Ernst, 1.. Komp. Inft. Rgt. 444“ 

 

Bad in der Marne
Ostern 1916

 

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Ein weiteres  Bild aus diesen Tagen zeigt meinen Großvater Georg Adam Ernst (erster von rechts) zusammen mit drei Kameraden in einem Schützengraben, es trägt auf der Rückseite die Aufschrift: „Stellung .. Winterberg 1916“.  

Dieses Bild trägt auf der Rückseite die Aufschrift
„Stellung .. Winterberg 1916“ 

   

Auch dieses Bild bereitete mir über Monate hinweg Kopfzerbrechen, da ich es nicht vernünftig einordnen konnte. Das Winterberg, das ich kenne, liegt im Sauerland  - und dort fand im Ersten Weltkrieg kein Stellungskrieg statt. Erst im Winter 2002/2003 ist es mir gelungen, ein wenig Licht in das Dunkel der damaligen Geschehnisse zu bringen. Wenn wir die Geschichte des Ersten Weltkrieges studieren, stoßen wir in den Jahren 1916 und 1917 unter anderem auf folgende Ereignisse:

1916

21. Februar -  September: Schlacht um Verdun mit der Armee des deut. Kronprinzen.

25. Februar: Fort Douaumont, das stärkste Fort der Welt, fällt in Deutsche Hand, da es nur von 57 Mann besetzt war, die die Sprengung vorbereitet sollten. Der französische General Palat nennt diesen Tag den ,,dunkelsten Tag des ganzen Angriffs auf Verdun".

30. Mai - 1. Juni: Seeschlacht vor dem Skagerrak. Die britische ,,Grand Fleet", das 2 und 3. Panzerkreuzergeschwader und das 2. und 5. Linienschiffgeschwader trafen auf das deutsche. 1. Panzerkreuzergeschwader Hochseeflotte. Die Grand Fleet verlor 5 Panzerkreuzer, die ,,Invincible", ,,Indefatigable", ,,Warspite" und die ,,Queen Mary", außerdem 1 Linienschiff und 10 Zerstörer. (zus. 115.025 t) 6945 Tote und 674 Verwundete. Die Hochseeflotte verlor 1 Linienschiff, den Panzerkreuzer ,,Lützow", 4 Leichte Kreuzer und 5 Torpedoboote. (zus. 61.180 t ) 2921 Tote und 507 Verwundete.

2. Juni: Erstürmung der Panzerfeste Vaux.

25. Juni - 26. November: Sommeschlacht. Engländer und Franzosen versuchen Durchbruchsversuch der deut. Front in Richtung St. Quentin und Cambrai. Ergebnis: Einbeulung der Frontlinie auf 40 Km Länge und 12 Km Tiefe.

Ende Oktober: Großer französische Gegenangriff. Douaumont und Vaux werden zurückerobert.

 

1917

März: Rückverlegung der deutschen. Truppen in die stark befestigt Siegfriedstellung.

9. April - 11. Mai: Offensive der Engländer beiderseits von Arras. Nur wenig Geländegewinn.
16. April - 20. Mai: Offensive der Franzosen an der Aisne erfolglos, große Verluste.
7. Mai: französische Angriff auf Winterberg, Chemin des Dames und Juvincourt
9. Mai: französische Angriff in der Champagne
Ende Mai: Alle französische Offensiven abgeschlagen, Meuterei in der französische Armee, General Nivelle wird von General Pétain abgelöst.

ab Sommer: US-Truppen in Fremdverbänden, später in eigenen (General Pershing), treten in Frankreich auf.

 

Winterberg wird hier im Zusammenhang mit dem Ort Juvincourt und dem "Chemin des Dames" genannt; bei letzterem handelt es sich um einen ca. 30 Kilometer langen Höhenzug zwischen Aisne und Ailette, etwas nord/nordwestlich von Reims, also in Frankreich. Den folgenden Kartenausschnitt haben wir wieder einmal dem "Zigarettenbilderdienst Dresden" zu verdanken; nordwestlich von Reims finden wir (abgekürzt) den gesuchten Höhenzug, hier angegeben mit Ch.d.Dames:

 

 

 

 

 

 

Bei der Lektüre eines anderen Berichtes wurde mir klar, warum ich den "Ort" Winterberg nicht finden konnte - es handelte sich nicht um einen Ort, sondern um einen Berg:

"Nachdem der neue Einsatzbefehl eingetroffen war, rückte die Truppe wieder an die Front, unweit der Stellung von Mai 1917. Wieder am Chemin des Dames wurde es nun westlich des Winterberges eingesetzt. Die Gräben waren noch in schlechtem zustand, und der ganze Stellungsverlauf nicht sehr günstig. Daher wurde für Anfang Oktober ein örtlich begrenzter Angriff befohlen, der eine Stellungsverbesserung erreichen sollte." ( Quelle: Homepage des Gefreiten Ludwig Dokter aus Marburg , 12.12.1886 + 8.2.1918, gestorben im Reserve-Feld-Lazarett 64 in Dizy le Gros nach erlittenem Bauchschuß während der Stellungskämpfe bei Juvincourt.

 

Demzufolge stammt auch die obige Aufnahme meines Großvaters aus dem Jahr 1916 von der Westfront in Frankreich. Wie es dort ein Jahr später ausgesehen hat, zeigt folgendes Bild (Quelle: ebenfalls Ludwig Dokter, Marburg):

 

 

 

 

 

Das Kampfgelände um den Chemin des Dames im Jahre 1917 
(Quelle Ludwig Dokter, Marburg)

 


Doch nun zurück zu meinem Großvater. Die nächsten Informationen erreichen uns aus dem Osten; es handelt sich um eine Feldpostkarte aus Danzig mit folgendem Inhalt: 

Danzig, den 16.2.1917
Liebe Eltern und Geschwister,
da ich gerade an Euch denke, will ich Euch dieses Kärtchen schreiben. Mir geht es bis jetzt ganz gut, was ich auch bestens von Euch hoffe. Ich habe Anna wegen des Sache geschrieben. Hoffentlich wird sie noch was schicken, denn sie schickt nur noch alle Woche etwas. Sonst nichts Neues. Die besten Grüße sendet Euch Euer Sohn Adam
Absender: Unteroffizier Adam Ernst, XVII/ 22.1 Kompanie Danzig

Um welche „Sache“ es hier konkret geht, entzieht sich meiner Kenntnis; wahrscheinlich hängt es aber mit den „Schicken“ von Lebensmitteln usw. zusammen. Welche Anna gemeint ist, habe ich auch noch nicht herausgefunden.


Gut einem Monat später erreicht uns die nächste Feldpostkarte, datiert mit dem 25.3.1917 und abgesandt vom „Truppenübungsplatz Hammerstein“:

Auch dieses Hammerstein konnte ich zunächst nicht identifizieren. Da die Karte zuvor aus Danzig stammte, vermutete ich, daß sich Hammerstein in einem Teil des damaligen Deutschen Reiches befand, der heute zu Polen gehört und der Name deshalb nirgendwo in den Atlanten mehr auftaucht. Der Text ist sehr schwer zu lesen. Ich konnte ihn bisher nur bruchstückhaft wie folgt entziffern: 

Hammerstein, 25.3.1917
Liebe Eltern und Geschwister,
da ich jetzt gerade an Euch denke, will ich Euch kurz mitteilen, daß ich hier in Hammerstein bin und zwar zu einem Granatwerferkursus auf 8 Tage, dann fahren wir wieder nach Graudenz (?). Mir geht es bis jetzt noch ganz gut, was ich auch bestens von Euch hoffe. Die besten Grüße sendet Euch Euer Adam
Abs. Untoffz. Adam Ernst, Inf.Rgt. 175

Daß ich mit meiner Vermutung bezüglich Hammerstein Recht hatte, bestätigt sich durch eine Recherche im Februar 2003. Der Schriftsteller Franz Mahlke beschreibt sein Heimatstädtchen mit folgenden Worten:

"Kennt ihr das unbedeutende Städtchen Hammerstein in der Grenzmarkprovinz Posen-Westpreußen? Dort hat mein Vater .... Mein Heimatstädtchen war ja eine Soldatenstadt. Was war das für ein buntes Treiben, nicht nur auf dem Truppenübungsplatz, auf dem alle vier Wochen die Besatzung wechselte, auch im Städtchen selbst machte sich der sommerliche Besuch in seiner Vielgestalt bemerkbar. Da gab es Artilleristen, Infanteristen, Dragoner, Kürassiere, Leibhusaren u. a. oft gleichzeitig zu sehen. Wenn fernher Musik das Anrücken einer Truppengattung ahnen ließ, eilte das Jungvolk den Soldaten entgegen. Die andern standen vor den Häusern und warteten. Ein lange verklungenes Lied wird in mir wach: Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren, öffnen die Mädchen die Fenster und die Türen.. usw.


Die nächste und zugleich auch letzte von Georg Adam Ernst unterzeichnete Feldpostkarte kommt wieder aus dem Westen. Sie ist geschrieben am 17.8.1917 und abgestempelt am 18.8.1917, sie trägt wieder den Briefstempel seiner alten Einheit, der 6. Komp. 1. Inft. Rgt. 444:

George Adam Ernst, oben auf dem Wagen, 2.von links

Liebe Eltern und Geschwister,

Euren Brief vom 13.8. habe ich heute erhalten und daraus ersehen, daß es Euch zu Hause noch gut geht, was auch bei mir der Fall ist. Ich werde morgen abkommandiert zu einem Minenwerfer-Kursus auf 14 Tage, dann werde ich auf Urlaub kommen. Sonst keine Neuigkeiten. Es grüßt Euch alle Euer Sohn Adam


Wieder zuhause

Nach dem ersten Weltkrieg kehrt Adam nach Kirdorf zurück, wohnt im Haus seiner Eltern in der Friedberger Str. 12 und arbeitet in Frankfurt als Maurer (wahrscheinlich wieder bei der Firma Deutschmann). Wann er seine spätere Ehefrau kennen lernte, ist nicht überliefert. Interessant ist, wie unterschiedlich die beiden in ihrer Jugend gewesen sein müssen. Während Elisabeth im katholischen Arbeiterverein mitarbeitet, ist Georg Adam aktiver Gewerkschaftler und - nach heutigem Sprachgebrauch - eher der "linken Szene" zuzurechnen. Mein Vater weiß noch, dass er oft eine Anstecknadel mit drei Pfeilen trug. Das hat mich natürlich neugierig gemacht und ich habe ein wenig nachgeforscht, was es mit diesen drei Pfeilen auf sich hat: Drei Pfeile, das war in den 30-er Jahren das Symbol der "Eisernen Front", zu der sich insbesondere die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB)  in ihrem Kampf gegen Nationalsozialisten, Kommunisten und den Adel zusammengeschlossen hatten; hier ein Auszug aus der Internetseite "Die Eiserne Front":

"Aufgeschreckt durch den Zusammenschluß der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und des Stahlhelm zur Harzburger Front im Oktober 1931 initiierte das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold die Gründung einer schlagkräftigen republiktreuen Organisation. Ende Dezember 1931 vereinigte sich das Reichsbanner mit dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB), der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und anderen Verbänden zur "Eisernen Front". Ihr Emblem mit den charakteristischen drei "Freiheitspfeilen" symbolisierte die drei wichtigsten Gegner der Eisernen Front: die Nationalsozialisten, die Kommunisten sowie die konservative "Adelskamarilla". Die politische Führung der Eisernen Front lag bei der SPD. Dem Reichsbanner fiel die wehrtechnische Leitung zu, die angesichts zunehmender politischer Gewaltakte zwischen nationalsozialistischer Sturmabteilung (SA) und kommunistischem Rotem Frontkämpferbund (RFB) von zentraler Bedeutung war. Zu keiner Zeit gelang es der Eisernen Front jedoch, eine feste Organisationsform zu entwickeln. Trotz zahlreicher öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen und Massenaufmärsche konnte die Eiserne Front ihr Ziel, die Weimarer Republik und die Demokratie zu verteidigen, nie verwirklichen. Dem staatsstreichartigen "Preußenschlag" der Reichsregierung unter Franz von Papen im Sommer 1932 stand die Eiserne Front konzeptlos gegenüber. Mit dem Verbot des Reichsbanners und der Gewerkschaften nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 kam auch das Ende der Eisernen Front."

                                                 

Dass mein Großvater diesen Kreisen zugehört hatte, kann ich mir aufgrund meiner persönlichen Erinnerungen und den Überlieferungen meines Vaters gut vorstellen. In der "Schwarzen" Hochburg Kirdorf war er bekannt als "Roter". Nach allem, was wir wissen, war er allerdings kein Kommunist, sondern Sozialdemokrat.

Die Bilder auf dieser Seite stammen nicht aus Familienbesitz und stehen auch nicht in direktem Zusammenhang mit meinem Großvater, sondern ich habe sie bei meinen Internetrecherchen gefunden und beschlossen, sie hier hinzuzufügen, weil sie einen guten Eindruck über die damalige Zeit vermitteln.

Nur zufällige Namensgleichheit:
Dieses Bild mit dem bezeichnenden Titel "Zum Deutschen Eck"
stammt von der Malerin Helen Ernst
es entstand um 1930

 

Ebenfalls aus den 30-er Jahren, 
die Arbeitslosenzahl erreicht 5,6 Millionen

Bei der Entstehung dieses Bildes ist unser Georg Adam allerdings schon mit seiner Elisabeth glücklich verheiratet. Das weitere Schicksal der beiden ist ein einem eigenen Kapitel beschrieben.


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